Erlaubt mir, mit einer persönlichen Geschichte zu beginnen.
Wie ihr wisst, lassen sich viel zu viele Russen vom Propaganda*-Fernsehen einlullen.
Meine Mutter, die in Usbekistan lebt und ausschließlich russisches Fernsehen konsumiert, erwies sich ebenfalls als überaus empfänglich für die Lügen des Kreml.
Internet benutzt sie selten, und wenn, dann nur um Kochvideos zu gucken. Wozu auch sonst? Dort erzählt man ja eh nur Unsinn und Fakes. Sie ist eigentlich gut gebildet, belesen, ist viel gereist, während der Sowjet-Zeit gehörte sie zu den absoluten Gegnern des Regimes. Umso erstaunlicher, wie gut es der Kreml-Propaganda gelungen ist, sie dermaßen um den Finger zu wickeln.
Mutter meint, Putin sei der beste Präsident, den man haben könne, und wünscht sich, er würde eines Tages auch in Usbekistan „Ordnung schaffen“. So wie er das in Russland getan habe. Denn dort leben die Menschen ihrer Meinung nach in einer idyllischen Gesellschaft ohne Schwule, Anime, Drogen, Korruption und US-Einfluss, dafür aber im Einklang mit der Natur und slawischen Traditionen.
Als die Annexion der Krim stattgefunden hat, war Mutter außer sich vor Freude: „Endlich hat Putin es den Scheißnazis gezeigt!“ Alle Aufklärungsversuche meinerseits haben rein gar nichts gebracht, denn ich lebe ja in „Gayropa“ und habe jegliche Verbindung zur Realität verloren. „Ich bin für Russland“, sagte Mutter. „Und für Putin.“
Von da an wurde es kontinuierlich schlimmer. 2019 habe ich den Kontakt zu ihr abgebrochen.
Desinformation ist wie ein Parasit in deinem Hirn. Er frisst und wächst und wächst und frisst. Irgendwann hörst du auf, eigenständig zu denken und wirst krank und orientierungslos, weil nun ein fetter Glibberkloß in deinem Kopf residiert und dich steuert.
*Propaganda muss nicht zwangsweise Desinformation enthalten, im russischen Fernsehen passiert aber genau das.
Am häufigsten kommen die Fake News über Geflüchtete aus der rechten Ecke. Zu den beliebtesten Mythen gehören folgende Behauptungen:
1) Flüchtlinge würden vom Staat besonders gut behandelt und mit Geld und Möglichkeiten überschüttet, während die Deutschen deswegen auf was auch immer verzichten müssen. (Dies ist natürlich nicht der Fall, denn Geflüchtete bekommen in den ersten 18 Monaten ihres Aufenthalts in Deutschland deutlich weniger Geld als Bürgergeldempfänger und von Chancengleichheit brauchen wir hier gar nicht erst zu reden.)
2) Die meisten Flüchtlinge seien Wirtschaftsflüchtlinge, denn ansonsten würden ja nicht überwiegend erwachsene Männer zu uns kommen. (Tatsächlich reichen in vielen Familien, die in Gefahr geraten, die Ressourcen einfach nicht aus, um mehr als einem Mitglied die Flucht nach Europa zu ermöglichen. Für gewöhnlich sind Männer körperlich stärker und – je nach Herkunft – häufig besser ausgebildet als Frauen. Deshalb gelten ihre Chancen als größer, eine gefährliche Reise zu überleben und am Zielort einen Job zu finden. Häufig stellen sie aus traditionellen Vorstellungen heraus den Haupternährer und stehen damit in der Verantwortung, für die Familie zu sorgen. Hinzu kommt die Tatsache, dass Frauen auf der Flucht oft vergewaltigt werden.)
3) Flüchtlinge würden „unsere Frauen“ vergewaltigen. (Die meisten dieser Geschichten entpuppen sich früher oder später als unwahr. Der Polizei ist auch kein erhöhtes „Vergewaltigungsaufkommen“ unter Geflüchteten bekannt.)
4) Die Polizei würde uns belügen und die angeblich von Geflüchteten begangenen Straftaten verschweigen. (Auf diese Weise schließt sich der Kreis der perfiden Anschuldigungen und die Fake-News-Erzeuger sind stets auf sicherer Seite.)
Doch nicht nur die rechten Hetzer greifen zu Halb- oder Unwahrheiten in Verbindung mit Asylsuchenden.
Auch die demokratischen Regierungen bedienen sich gerne aus der Trickkiste der verschleiernden, soften Sprache, um die Unmenschlichkeit der Situation und nicht zuletzt die des eigenen Handelns zu relativieren.
Rückführung (klingt sanft wie eine Sommerbrise) oder Auffanglager (fast könnte man meinen, Flüchtlinge würden dort kichernd und freudestrahlend Fangen mit der libyschen Küstenwache spielen) … Man kämpft immer gegen die Migration (abstrakter Begriff, keine emotionale Färbung), niemals gegen die Migranten. Man verhandelt mit Nicht-EU-Partnern, um das Elend immer weiter von der EU-Außengrenze auszulagern: in Libyen, Marokko, Tunesien, wo die Geflüchteten unter mittelalterlichen Bedingungen in Gefängnissen ausharren müssen, zu Sklavenarbeit gezwungen und nicht selten im Rahmen der so genannten „Rückführung“ in der Wüste ausgesetzt werden. Da kann die EU sich sogar empören, den moralischen Finger erheben und irgendwas von Menschenrechten schwafeln. Aber hey, alles halb so wild, solange der Bürger nicht unnötig beunruhigt ist.
Kaum ein Themengebiet wird dermaßen stark von Desinformationen heimgesucht wie der Klimawandel. Von kompletter Leugnung bis hin zu geschickteren Manipulationen wie Relativierung und Verharmlosung ist alles drin.
Um die Tatsache der fortschreitenden Erderwärmung (infolge der menschenkontrollierten Treibhausgasemissionen seit der Industrialisierung) infrage zu stellen, nehmen die Auftraggeber (damit meine ich in erster Linie die eifrigen Lobbyisten der Großkonzerne in Politik und Medien) am liebsten Klimaaktivisten und Die Grünen ins Visier. Man diskreditiert, was das Zeug hält, und der Fake-News-Widerhall geistert dann emsig durch die Echokammern der Social-Media-Kanäle: Klimawandel ist Ideologie, Klimaschutz ein Luxus-Problem der Hafermilch-Szene, „Sollen sie doch erst mal den Dreisatz lernen!“.
Die Masche funktioniert fabelhaft, denn den Bürgern wird auf diese Weise vermittelt, dass alles bleiben könne wie zuvor: Billigfleisch auf dem Grill, Verbrenner und Ramschflüge – immer weiter so, kein Problem. Eigeninteressen vor kollektiver Vernunft, der Markt regelt schon alles. Wer hätte was dagegen, wenn das Gewohnte und lieb Gewonnene einfach bestehen bleiben könnte?
Und dabei birgt die Bekämpfung der Erderwärmung – vorausgesetzt, man erkennt ihre Unvermeidlichkeit – jede Menge Chancen. Darunter umweltfreundliche Arbeitsplätze, bessere Luftqualität, erneuerbare Energie, Ernährungssicherheit, lebenswerte Küstenstädte, bessere Gesundheit und weniger Flüchtlinge.
Ja, wir sind schon wieder beim Thema Flüchtlinge. Denn der Klimawandel verschärft die bereits bestehende Ungerechtigkeit und Ungleichheit auf der Welt. Überschwemmungen, Dürren und Stürme treffen die Armen und Benachteiligten oft am stärksten. Diejenigen, die am wenigsten zu Treibhausgasemissionen beigetragen haben, leiden am meisten unter den Folgen. Zugleich erfüllen die frühindustrialisierten Länder ihre finanziellen Unterstützungszusagen nicht oder nicht ausreichend.
Wir müssen die Politik nachdrücklich und kontinuierlich auffordern, mehr für den Klimaschutz zu tun, denn ein ungebremster Klimawandel bedroht unsere Lebensgrundlagen. Der Staat muss massiv in die Umwelt- und Klimatechnologien investieren, die Industrie dazu verpflichten, nachhaltig und transparent zu produzieren, die viel billigeren erneuerbaren Energien ausbauen und sozial gerechter werden. Niemand macht es für uns.
Nach unten treten hat in Deutschland Tradition. Je schwächer die soziale Gruppe, je verletzlicher, desto mutiger trampelt man darauf rum. Wenn ein Politiker sich bei der Mittelschicht auf die Schnelle beliebt machen will, eignet sich der Bürgergeld-Empfänger ideal als Sprungbrett.
Jens Spahn hat neuerdings behauptet, dass eine vierköpfige Familie im Schnitt 2.311 Euro Bürgergeld – und damit faktisch so viel wie eine Durchschnittsverdiener-Familie in Deutschland erhalte. Aus diesem Grund lohne es sich natürlich nicht mehr zu arbeiten in unserem schönen Sozialdeutschland. Das stimmt natürlich nicht, denn ein wahres Wort verlässt nur selten den Mund des ehemaligen Gesundheitsministers.
Fakt ist: Paare mit 2 Kindern hatten im Jahr 2018 durchschnittlich ein Nettohaushaltseinkommen von 5.490 Euro vorzuweisen. Ganze 3.179 Euro mehr als von Jens Spahn angegeben. Brutto lag das Haushaltseinkommen bei 7.435 Euro. (Quelle: tagesschau.de/faktenfinder/buergergeld-spahn-100.html)
Dass Bürgergeldsatz nicht gleich Bürgergeldsatz ist, muss man Herrn Spahn auch wohl erst mal erklären, denn nicht jeder Bedürftige bekommt das Gleiche. Alleinstehende und Alleinerziehende, Kinder im unterschiedlichen Alter sowie Aufstocker bekommen alle unterschiedliche Bedarfe ausgezahlt. Hinzu kommt, dass das Kindergeld sowie Unterhaltszahlungen komplett auf die Monatsleistung angerechnet werden.
Aber was macht schon ein bisschen Hetze unter Freunden?
Wie oft soll man die Spahns, Söders und Fritzemerzchen dieses Landes noch darauf hinweisen, dass nicht das Bürgergeld zu hoch, sondern die Löhne zu niedrig ausfallen? Beschäftigte, die zum Mindestlohn von zwölf Euro arbeiten, hätten übrigens häufig noch Anspruch auf Wohn- und Kindergeld sowie Kinderzuschlag, was ganz klar für die zu kargen Löhne spricht.
Wer also immer noch was von „spätrömischer Dekadenz“ der Bürgergeld-Empfänger faselt, sollte dringend ein paar Monate davon leben und sich nicht zuletzt dem systematischen Psychoterror des Jobcenters stellen.
Ihr dürft dreimal raten, welche politische Partei hierzulande am meisten unter Diffamierung, Desinformation und blanker Hetze leidet. Natürlich sind es Die Grüüünen. Danke, Axel Springer, danke, CDU/CSU, danke, professionelle Putintrolle und die kremltreue AfD!
Im Wahlkampf 2021 entfielen mehr als 90% der parteibezogenen Desinformationsnarrative auf BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Im selben Jahr thronte Annalena Baerbock auf der traurigen Spitze der Top 10 deutscher Politikerinnen und Politiker, die von Desinformationskampagnen betroffen waren. (Quelle: https://www.pressrelations.com/…/studie-die-gruenen-mit…)
Seitdem hat sich wenig geändert. Alles, was aus der grünen Ecke kommt, heißt – Desinformation sei Dank! – mittlerweile Ideologie. Wenn man den undemokratischen Hetzern Glauben schenkt, leben wir in einer Grünen-Diktatur, in der uns Gendersternchen, Veganismus, Lastenräder, Insektenburger und – Herr im Himmel! – LGBTQ-Werte aufgezwungen werden.* Eigentlich würde es den AfDeppen, „Bild“-Fanboys und -Fangirls und Querspinnern meiner Meinung nach guttun, so richtig durchgengendert zu werden, aber wir sind ja alles gebildete, friedfertige Menschen, nicht wahr?
Wusstet ihr eigentlich, dass Die Grüüünen schuld am Dreißigjährigen Krieg sind? Und am Untergang von Pompeji und am Holocaust natürlich. Robert Habeck hat übrigens persönlich dafür gesorgt, dass das Pferd von Atréju im Sumpf der Hoffnungslosigkeit versunken ist, während der verschlagene Cem Özdemir uns vegane Kartoffeln in die Supermärkte schmuggelt.
So weit, so lustig. Doch gefühlte Probleme können durchaus echte Auswirkungen entwickeln. Das künstlich erzeugte Feindbild dockt an tatsächliche Ängste und Unsicherheiten an, die ursprünglich aus völlig anderen Quellen speisten, doch nun sind die Grünen an allem schuld.
* Diese nicht existenten, von Konservativen konstruierten „Grünen-Verbote“ werden permanent und ausschließlich von Konservativen ins Gespräch gebracht. Vor allem im Wahlkampf, um den Wähler zu emotionalisieren und von den eigenen schwachen Inhalten abzulenken.
„Der neuerliche Erfolg des Rechtsextremismus hat auch damit zu tun, dass nur wenige Prominente aus Film, Glotze, Theater und überhaupt laut und deutlich Stellung beziehen.
Es war offenbar einfacher, sich hinter #allesdichtmachen zu versammeln, als gegen die AfD aufzustehen“, sagt Jörg Kachelmann. Und damit hat er so was von recht!
Die Kehrseite des Spruchs ist meiner Meinung nach folgende: Menschen mit Einfluss, Promi-Status und jeder Menge Sendezeit erlauben sich Relativierungen, Un- und Halbwahrheiten in Bezug auf die wichtigsten Themen, womit sie den Menschen, die geneigt sind, ihnen zuzuhören, falsche Vorstellungen vermitteln.
Vince Ebert zum Beispiel verbreitet unter dem Deckmantel der Wissenschaft „alternative Wahrheiten“, unter anderem in Bezug auf die Klimapolitik. Dabei bedient er sich sehr geschickt der Argumente der fossilen Lobby, verharmlost, beschönigt. Sein Facebook-Account strotzt regelrecht vor Whataboutism, aus dem Kontext gerissenen Statistiken und Schwurbelzitaten von z. B. Josef H. Reichholf, der schon lange als Klimaskeptiker bekannt ist.
Dann haben wir noch einen Dieter Nuhr, dem ich aufgrund seiner früheren Errungenschaften sehr lange die Stange gehalten habe. Doch in den letzten 4–5 Jahren wurden seine „Witze“ zunehmend gesellschaftsschädigend. Wie zum Beispiel die Aussage, dass China vermehrt Flughäfen baue, wohingegen Deutschland auf Lastenräder setze. Als wären Flughäfen ein sicherer Indikator einer gelungenen Staatsform. Und natürlich könne man laut Dieter Nuhr nichts gegen den Klimawandel tun, ganz besonders unter Berücksichtigung dessen, dass Deutschland ja eh für lediglich 2% der CO2-Emissionen weltweit verantwortlich sei, während China (ja, schon wieder China) jede Woche ein neues Kohlekraftwerk genehmige. Relativierung de luxe.* Nuhrs Verbindungen zu Ralf Schuler und Reichelts „Nius“ lassen übrigens auch viele, viele Fragen aufkommen.
Zu guter Letzt möchte ich auf die völlig peinlichen populistischen Kapriolen von Monika Gruber eingehen, deren Inhalt jenseits jeglicher Rationalität angesiedelt ist. Allerdings ist es ihr mithilfe ihrer Bekanntheit gelungenen, mehr als 13 000 Teilnehmer für einen Aufmarsch zusammenzutrommeln, um gegen die „Heizungsideologie“** von Robert Habeck zu demonstrieren. Bei der Versammlung durften selbstverständlich etliche AfD-Anhänger, Rechtspopulisten und Querdenker nicht fehlen. Kein Wundern, wenn Frau Gruber ständig was von Genderzwang, Fleischverboten und „bürgerfeindlicher Regierung“ faselt.
Euch ist sicherlich aufgefallen, dass Vince Ebert, Dieter Nuhr und Monika Gruber allesamt im Bereich Kabarett unterwegs sind. Doch leider haben ihre fraglichen Aktivitäten immer weniger mit Satire, dafür aber umso mehr mit vorsätzlicher Irreführung der Bürger zu tun. Satire darf wahnsinnig viel, allerdings darf sie nicht als Instrument der politischen Manipulation missbraucht werden.
*Diese unsägliche deutsche Überheblichkeit dient nur der bequemen Verdrängung, denn im einzig fairen Pro-Kopf-Vergleich kann der Chinese beim Treibhausgasausstoß nicht mit dem Westeuropärer mithalten und letzterer lagert seine Verantwortung sogar noch nach China aus, weil wir alle so viele chinesische Produkte kaufen. Die Deutschen waren zusammen mit den Briten seit Anbeginn der Industrialisierung mit Riesenabstand die ersten, die die CO2-Konzentration in der Erdatmosphäre nach oben trieben, und gehören deshalb heute zu den Hauptverantwortlichen für die globalen Klimaprobleme.
**Heizungen sind nur ein Teil des Gebäudeenergiegesetzes, das es ohne die konstruierte Hysterie bereits seit 2020 gibt, allerdings ohne die neuen, sehr großzügigen staatlichen Förderungen, und wer hierbei in den irrationalen Populismus einstimmt, zeigt nur, dass er den Gesetzestext nicht gelesen hat.
Alla Leshenko ist Schriftstellerin, Lektorin, Horror-Fan und menschenliebende Misanthropin. Als staatlich zertifizierte, linksgrünversiffte Expertin für alles gibt sie nur zu gerne ihren Senf zu allen möglichen gesellschaftlichen und politischen Themen ab.